Zugegeben, Publikumsbeschimpfungen sind nicht unbedingt das, was man als besonders kluge Werbestrategie bezeichnen würde. Ein Editorial sollte ja eigentlich eine freundliche Einladung sein anstatt ein Affront. Aber uns ist aufgefallen, wie sehr das Benehmen der Zuschauer*innen immer mehr zu wünschen übrig lässt. Lustigerweise ausgerechnet seit wir unlängst dafür geworben haben, dass das Theater eigentlich DER Ort sein könnte, an dem man endlich mal die Klappe halten darf und nicht permanent seinen Kommentar abgeben, seinen Super-Daumen-Abdruck oder ein Hate-Emoji hinterlassen muss – seither hat sich der prozentuale Anteil an verhaltensauffälligen Zuschauer*innen merklich erhöht.

Es scheint, als könnten Menschen immer weniger unterscheiden zwischen Theater schauen und sich zu Hause Netflix reinziehen. (Hier muss mal festgehalten werden, dass der eigentliche Sieger der No-Billag-Abstimmungsorgie Netflix heisst. So inflationär wie Netflix auf allen Kanälen als Alternative zur zwangsinformierten Gesellschaft diskutiert wurde, da muss man neidlos anerkennen: Das war die  beste Werbekampagne ever. Weiss doch heute der hinterletzte Depp der Schweiz, was Netflix ist. Direkte Demokratie als Dauerwerbesendung auf Staatskosten – mit den libertären Netflix-Aktionär*innen vom No-Billag-Team als Gewinnler*innen, die sich nun endlich den Tesla leisten können.)

Aber wir haben nicht vor, Netflix hier noch eine zusätzliche Werbeplattform zu bieten. Nicht zuletzt, weil wir ja, wie bereits erwähnt, eh schon das Gefühl haben, dass das Homekino-Konsumverhalten ungut auf unser Publikum abfärbt. Zwar ist es mittlerweile ein alter Zopf, dass die Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit heute völlig aufgelöst sind. Aber trotzdem sind wir doch immer wieder erstaunt, wenn die Leute während der Vorstellung wie selbstverständlich raschelnd aus ihrem Schnappsack futtern oder sich ein Bier zischen. Ebenso wunderten wir uns über jene bereits betagtere Zuschauerin, die während eines Publikumsgesprächs nach einer Produktion aus Syrien ihr Tupperware auspackte und sich, engagiert ihr Müesli knabbernd, vollmundig über die europäische Empathielosigkeit ausliess.

Item. Wie gesagt, wir haben uns an vieles gewöhnt. Fast schon alltäglich sind Leute, die sich während der Vorstellung lauthals miteinander unterhalten, mit ihren Smartphones filmen und fotografieren, um sich dann zu Hause anschauen zu können, was sie im Theater nur auf ihrem Display gesehen haben; die SMS schreiben und ihre Mails checken, während sich die Akteur*innen vorne auf der Bühne den Wolf abspielen. So à la «Was geht es mich an, was ihr da absondert?! Ich hab schliesslich dafür bezahlt». Theater on demand eben.

Wir konstatieren: Das Konsumverhalten verdrängt die Inhalte. Die feindliche Übernahme des öffentlichen Raumes durch den Individualismus macht auch vor dem Theater nicht Halt und verwandelt so die ehemalige, äh, Lernanstalt in eine Speerspitze der fortschreitenden allgemeinen Verblödung. Sätze wie «Warum soll ich mir von einem Theaterabend irgendwelche Themen aufoktroyieren lassen?! Ich weiss schliesslich selber am besten, was ich wissen will!» machen vermehrt Schule und gipfeln in den Worten eines Zuschauers von neulich: «Sag mal, who the fuck is Gender?»

Aber wir geben nicht auf. Und in diesem Sinne möchten wir Sie herzlich einladen, sich mit unserem Mai/Juni-Programm zu konfrontieren. Im Gegenzug versprechen wir Ihnen, dass Sie garantiert nur für das bezahlen, was Sie auch wirklich verdient haben.

Silvie von Kaenel, Michael Rüegg, Michel Schröder